AllButMe.com

Donnerstag, Januar 30, 2003
 
Dagegen! e.V.


In der Hitze einer Diskussion war es, als es Rolf es mir gesagt hat. Nachdem ich darauf hingewiesen hatte, daß ich selten die als "Pommes Frites" bekannten, gebratenen Kartoffelstäbchen verzehre und daher keine akute Gefährdung meiner Gesundheit sehe, weshalb ich auch nicht gegen den weiteren Verkauf dieser Spezialität bin, sagte Rolf: "Du bist ja gegen nichts!".
Schlagartig herrschte in der Runde betretenes Schweigen, das ich zu brechen suchte, indem ich vorschlug, man könne ja gegebenenfalls auch freiwillig auf Pellkartoffeln umsteigen. Es hat nichts geholfen, nach einigen mühsamen Versuchen, das Gespräch wieder ins Laufen zu bringen, gingen wir heim. Noch immer spüre ich die stechenden Blicke im Rücken.
Auf dem Heimweg ist uns aufgefallen, daß außer uns eigentlich jeder in unserem Umfeld gegen etwas ist: Horst und Gabi sind gegen die Mobilfunkantenne auf dem Fitnessstudio. Lars und Andrea sind gegen die neue Ortsumgehung. Astrid ist gegen Panzer und Raketen und hat Ewald auf einer Demo gegen das Großkapital kennengelernt. Jochen und Heidi sind gegen die Verweltlichung der Gesellschaft und gegen die Abschaffung des Schulgebetes. Mein Berater auf dem Arbeitsamt ist gegen unseren Kanzler, der widerum ist gegen George, weil der was gegen Sadam hat, der bekanntlich gegen den Westen ist.
"Die einzigen die gegen nichts sind, sind wir", hat meine Frau gesagt, "das kann so nicht weitergehen".
Wir haben es uns nicht leicht gemacht, "denn", so habe ich argumentiert, "wir wollen ja nicht gegen irgendwas sein". Ich hätte nicht gedacht, daß es so schwierig ist, da was zu finden, und nicht nur weil mir die Erfahrung fehlt: Anfänglich überlegte Alternativen wie "gegen den Krieg" oder "gegen den amerikanischen Imperialismus" brachten nicht den erwünschten Profilgewinn, da regelmäßig Fragen wie "sind wir das nicht alle?" zurückkamen.
Gegen Sadam Hussein, die Palästinenser oder die Atomwaffen der Nordkoreaner zu sein, führt zum Verlust sämtlicher linksbürgerlicher Bekannter, was zwar nicht weiter schlimm wäre, aber einer leiht uns immer sein Auto aus. Gegen die Rechten, Liberalen und Reichen zu sein, kann ich mir nicht erlauben, solange ich noch einen Job suche und eventuell darauf angewiesen bin, daß ein Rechter, Liberaler oder Reicher mich einstellt.
Auf Vorschlag meiner Frau besuchten wir mehrere Veranstaltungen von Bürgerinitiativen, konnten aber für die Aufnahme nicht glaubhaft genug vermitteln, gegen die Ortsumgehung, den Bundesbahnfahrplan oder veränderte Kennzeichnungen an Joghurtbechern zu sein. Irgendwann kam mir dann die rettende Idee: "Ich bin eigentlich gegen alles", habe ich zu meiner Frau gesagt. Zwei Wochen später wurde Dagegen! e.V. ins Vereinsregister eingetragen.
Laut unserer Satzung beschäftigen wir uns "mit der Pflege des Bedekenträgertums in Reinform", insbesondere damit, "durch gezielte Auswahl der Themen und Mittel die Ästhethik des Protestes neu zu definieren.".
Nicht solche profanen Aktionen wie langweilige Demonstrationen oder Flugblattverteilen im Strickpulli. Wie Horst, unser Pressesprecher es letztens so schön gesagt hat muß Gegnerschaft heute "ein Event sein, ein Ereignis das bewegt und nachdenklich macht im Herzen". Daraufhin hat sich überigends gestern die Kampa der Nidersächsischen SPD gemeldet und gefragt, ob sie den Satz verwenden kann.
Thematisch sind wir auch schon voll eingestiegen. Auf der Suche nach unverbrauchten Zielen haben wir uns dafür entschieden, Bekanntes weiterzuentwickeln und Neues zu entdecken.
Im Gesundheitsbereich haben wir zum Beispiel ein Plakat mit dem Titel "Wir sind nicht nur gegen Aids sondern haben auch bei anderen Krankheiten Bedenken" entworfen.
Unser Vereinszoologe sucht momentan im brasilianischen Regenwald nach unentdeckten Tierarten, gegen deren Ausrottung wir uns aussprechen werden.
Ich als gesellschaftspolitischer Sprecher habe die junge Familie als Thema endeckt: In einer Gesellschaft, in der es immer mehr Singles und Alte gibt, wundert mich, daß darauf noch keiner gekommen ist. Wir sprechen uns gegen unerzogene Kinder im Supermarkt, pinkelnde Kinder im Hallenbad und heulende Kinder in der Kirche aus, außerdem auch gegen Nahkampfkinderwagenschieberinnen und Passatkombifahrer. Letztens habe ich ein Sit-in mit Champagnerfrühstück gegen den täglichen Stau vor dem Kindergarten angeführt.
Ich kann nichtmehr verstehen, wie ich jemals gegen nichts sein konnte. Ich muß so gedankenlos gewesen sein, gutgläubig, vermutlich auch noch Optimist oder noch was Schlimmeres. Mittlerweile lachen wir über solche Leute am Vereinsstammtisch. Wo bitte wäre die Welt ohne Bedenkenträger? Ist e es nicht gerade unsere Gegnerschaft, stetig, beharrlich und nicht ohne Schärfe vorgebracht, die uns voran bringt?

Dementsprechend gelassen stehen wir auch den einigen wenigen gegenüber, die öffentlich den Zweck unseres Vorgehens bezweifeln. Die behaupten, wir wären Miesmacher und immer nur negativ. Das ist doch typisch deutsch: Kaum setzt man sich ein, organisiert, stellt was auf die Beine, und schon ist einer da dem es nicht passt. Unglaublich.

0 Kommentare

Home


referer referrer referers referrers http_referer


 
Web allbutme.com